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(56) Joachim Ringelnatz »Fussball«

5m · Lesung - Klassiker, Philosophie, Gedichte | Gelesen von Elisa Demonki · 02 Jul 15:13

nebst Abart und Ausartung Der Fußballwahn ist eine Krankheit, aber selten, Gott sei Dank. Ich kenne wen, der litt akut An Fußballwahn und Fußballwut. Sowie er einen Gegenstand In Kugelform und ähnlich fand, So trat er zu und stieß mit Kraft Ihn in die bunte Nachbarschaft. Ob es ein Schwalbennest, ein Tiegel, Ein Käse, Globus oder Igel, Ein Krug, ein Schmuckwerk am Altar, Ein Kegelball, ein Kissen war, Und wem der Gegenstand gehörte, Das war etwas, was ihn nicht störte. Bald trieb er eine Schweineblase, Bald steife Hüte durch die Straße. Dann wieder mit geübtem Schwung Stieß er den Fuß in Pferdedung. Mit Schwamm und Seife trieb er Sport. Die Lampenkuppel brach sofort. Das Nachtgeschirr flog zielbewußt Der Tante Berta an die Brust. Kein Abwehrmittel wollte nützen, Nicht Stacheldraht in Stiefelspitzen, Noch Puffer außen angebracht. Er siegte immer, 0 zu 8. Und übte weiter frisch, fromm, frei Mit Totenkopf und Straußenei. Erschreckt durch seine wilden Stöße, Gab man ihm nie Kartoffelklöße. Selbst vor dem Podex und den Brüsten Der Frau ergriff ihn ein Gelüsten, Was er jedoch als Mann von Stand, Aus Höflichkeit meist überwand. Dagegen gab ein Schwartenmagen Dem Fleischer Anlaß zum Verklagen. Was beim Gemüsemarkt geschah, Kommt einer Schlacht bei Leipzig nah. Da schwirrten Äpfel, Apfelsinen Durch Publikum wie wilde Bienen. Da sah man Blutorangen, Zwetschen An blassen Wangen sich zerquetschen. Das Eigelb überzog die Leiber, Ein Fischkorb platzte zwischen Weiber. Kartoffeln spritzten und Citronen. Man duckte sich vor den Melonen. Dem Krautkopf folgten Kürbisschüsse. Dann donnerten die Kokosnüsse. Genug! Als alles dies getan, Griff unser Held zum Größenwahn. Schon schäkernd mit der U-Bootsmine Besann er sich auf die Lawine. Doch als pompöser Fußballstößer Fand er die Erde noch viel größer. Er rang mit mancherlei Problemen. Zunächst: Wie soll man Anlauf nehmen? Dann schiffte er von dem Balkon Sich ein in einem Luftballon. Und blieb von da an in der Luft, Verschollen. Hat sich selbst verpufft. – Ich warne euch, ihr Brüder Jahns, Vor dem Gebrauch des Fußballwahns!

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(71) Bertha von Suttner »Die Waffen nieder!« (Ausschnitt aus dem ›4. Buch‹)

Rache und immer wieder Rache? Jeder Krieg muß einen Besiegten aufweisen und wenn dieser nur in einem nächsten Krieg Genugtuung finden kann, einem nächsten, der natürlich wieder einen genugtuungheischenden Besiegten schaffen wird – wann nimmt das ein Ende? Wie kann Gerechtigkeit erlangt, wann altes Übel gesühnt werden, wenn als Sühnemittel immer wieder neues Unrecht angewendet wird? Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegputzen zu wollen – nur Blut, das soll immer wieder mit Blut ausgewaschen werden! Musik: Elisa Demonki

(70) Rainer Maria Rilke »Herbsttag« / Giaime Pintor »Giorno d’autunno«

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Signore: è tempo. Grande era l’arsura. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren laß die Winde los. Deponi l’ombra sulle meridiane, libera il vento sopra la pianura. Befiehl den letzten Früchten voll zu sein; gieb ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein. Fa’ che sia colmo ancora il frutto estremo; concedi ancora un giorno di tepore, che il frutto giunga a maturare, e spremi nel grave vino l’ultimo sapore. Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben. Chi non ha casa adesso, non l’avrà. Chi è solo a lungo solo dovrà stare, leggere nelle veglie, e lunghi fogli scrivere, e incerto sulle vie tornare dove nell’aria fluttuano le foglie. Giaime Pintor (1919 - 1943) studierte Goethe und übersetzte die Werke von Heinrich von Kleist, Hugo von Hofmannsthal und Rainer Maria Rilke. Er war Schriftsteller, Übersetzer und Antifaschist. Mit gerade einmal 24 Jahren verlor er sein Leben im 2.Weltkrieg. Lesung Musik: Elisa Demonki

(69) Aesop - Die beiden Frösche

Zwei Frösche, deren Tümpel die heiße Sommersonne ausgetrocknet hatte, gingen auf die Wanderschaft. Gegen Abend kamen sie in die Kammer eines Bauernhofs und fanden dort eine große Schüssel Milch vor, die zum Abrahmen aufgestellt worden war. Sie hüpften sogleich hinein und ließen es sich schmecken. Als sie ihren Durst gestillt hatten und wieder ins Freie wollten, konnten sie es nicht: die glatte Wand der Schüssel war nicht zu bezwingen, und sie rutschten immer wieder in die Milch zurück. Viele Stunden mühten sie sich nun vergeblich ab, und ihre Schenkel wurden allmählich immer matter. Da quakte der eine Frosch: »Quack! Alles Strampeln ist umsonst, das Schicksal ist gegen uns, ich geb's auf!« Er machte keine Bewegung mehr, glitt auf den Boden des Gefäßes und ertrank. Sein Gefährte aber kämpfte verzweifelt weiter bis tief in die Nacht hinein. Da fühlte er den ersten festen Butterbrocken unter seinen Füßen, er stieß sich mit letzter Kraft ab und war im Freien. Klavier: Ulrike Theusner

(68) Kurt Tucholsky »Drei Minuten Gehör!«

Drei Minuten Gehör will ich von euch, die ihr arbeitet – ! Von euch, die ihr den Hammer schwingt, von euch, die ihr auf Krücken hinkt, von euch, die ihr die Feder führt, von euch, die ihr die Kessel schürt, von euch, die mit den treuen Händen dem Manne ihre Liebe spenden – von euch, den Jungen und den Alten – : Ihr sollt drei Minuten inne halten. Wir sind ja nicht unter Kriegsgewinnern. Wir wollen uns einmal erinnern. Die erste Minute gehöre dem Mann. Wer trat vor Jahren in Feldgrau an? Zu Hause die Kinder – zu Hause weint Mutter ... Ihr: feldgraues Kanonenfutter – ! Ihr zogt in den lehmigen Ackergraben. Da saht ihr keinen Fürstenknaben: der soff sich einen in der Etappe und ging mit den Damen in die Klappe. Ihr wurdet geschliffen. Ihr wurdet gedrillt. Wart ihr noch Gottes Ebenbild? In der Kaserne – im Schilderhaus wart ihr niedriger als die schmutzigste Laus. Der Offizier war eine Perle, aber ihr wart nur ›Kerle‹! Ein elender Schieß- und Grüßautomat. »Sie Schwein! Hände an die Hosennaht –!« Verwundete mochten sich krümmen und biegen: kam ein Prinz, dann hattet ihr stramm zu liegen. Und noch im Massengrab wart ihr die Schweine: Die Offiziere lagen alleine! Ihr wart des Todes billige Ware… So ging das vier lange blutige Jahre. Erinnert ihr euch – ? Die zweite Minute gehöre der Frau. Wem wurden zu Haus die Haare grau? Wer schreckte, wenn der Tag vorbei, in den Nächten auf mit einem Schrei? Wer ist es vier Jahre hindurch gewesen, der anstand in langen Polonaisen, indessen Prinzessinnen und ihre Gatten alles, alles, alles hatten – –? Wem schrieben sie einen kurzen Brief, dass wieder einer in Flandern schlief? Dazu ein Formular mit zwei Zetteln ... wer mußte hier um die Renten betteln? Tränen und Krämpfe und wildes Schrein. Er hatte Ruhe. Ihr wart allein. Oder sie schickten ihn, hinkend am Knüppel, euch in die Arme zurück als Krüppel. So sah sie aus, die wunderbare große Zeit – vier lange Jahre… Erinnert ihr euch – ? Die dritte Minute gehört den Jungen! Euch haben sie nicht in die Jacken gezwungen! Ihr wart noch frei! Ihr seid heute frei! Sorgt dafür, dass es immer so sei! An euch hängt die Hoffnung. An euch das Vertraun von Millionen deutschen Männern und Fraun. Ihr sollt nicht strammstehn. Ihr sollt nicht dienen! Ihr sollt frei sein! Zeigt es ihnen! Und wenn sie euch kommen und drohn mit Pistolen –: Geht nicht! Sie sollen euch erst mal holen! Keine Wehrpflicht! Keine Soldaten! Keine Monokel-Potentaten! Keine Orden! Keine Spaliere! Keine Reserveoffiziere! Ihr seid die Zukunft! Euer das Land! Schüttelt es ab, das Knechtschaftsband! Wenn ihr nur wollt, seid ihr alle frei! Euer Wille geschehe! Seid nicht mehr dabei! Wenn ihr nur wollt: bei euch steht der Sieg! – Nie wieder Krieg – ! Theobald Tiger, 1922 Lesung Sound: Elisa Demonki

(67) Johann Wilhelm Ludwig Gleim »An Leukon « (aus ›Neue Lieder‹)

Rosen pflücke, Rosen blühn, Morgen ist nicht heut! Keine Stunde laß entfliehn, Flüchtig ist die Zeit! Trink' und küsse! Sieh, es ist Heut Gelegenheit; Weißt du, wo du morgen bist? Flüchtig ist die Zeit! Aufschub einer guten That Hat schon oft gereut! Hurtig leben ist mein Rat, Flüchtig ist die Zeit! Musik: Ulrike Theusner (»Schmetterling«, komponiert mit 8 Jahren)