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Re-Vision.

0s · Patchwork-Podcast · 10 Nov 21:52

 

Ich sammle, im Tagebuch, in den Fotos, im Kalender, im Kopf, ich sammle Antworten auf die Moon List Fragen für November – und auf einmal erkenne ich einen Strang, erkenne ich, welche Themen und Motive sich durchgezogen haben.

Das ist das eigentlich Spannende an diesen Berichten: Im Sichten der eigenen Fragmente der letzten Wochen erkenne ich Muster, und mit diesen Mustern kann ich arbeiten.

Welchen Titel würdest du deiner Gegenwart oder der jüngsten Vergangenheit geben?

Revision.

Meine blinde starke Sommerenergie ist gedämpft, jetzt geht es um das Einarbeiten und Verarbeiten.

Natürlich im Sinne von revidieren und feinschleifen und lektorieren. Ganz konkret auf meine Erzählung bezogen, die jetzt als Rohtext steht und die ich in den nächsten Wochen und Monaten überarbeite. Ich werde die einzelnen Stränge durcharbeiten und sie weiterdenken und tiefer führen. (In diesem Kontext waren diese Podiumsdiskussion und dieser Essay für mich anregend und ergiebig.)

Aber Re-Vision auch im Sinne von: insgesamt nochmal hinschauen.

Genauer hinschauen. Spüren, was meine Vision ist, für mein Schreiben genau so wie für meine Website-Arbeit. Herausarbeiten, was meine Vision ist, damit ich genauer weiß, wo ich eigentlich hin will. Damit ich wieder eine stabile Grundlage habe, auf der ich die vielen täglichen Entscheidungen treffen, die täglichen Prioritäten legen kann.

Es ist ja alles schon ziemlich gut. Und trotzdem stolpere ich immer wieder über die gleichen Fragen, die gleichen Alltags-Herausforderungen – welche und wie viele Termine nehme ich an, wie viel reise ich, wen treffe ich, wie komme ich mit den Mails hinterher, wie entwickle ich mein Geschäft und meine Kunst parallel weiter …?

Im Rumeiern mit diesen Fragen ist mir klar geworden, dass mein Kompass schwammig geworden ist. Ich kann im Moment nicht exakt benennen, in welche Richtung ich segeln will, und wo genau ich eigentlich ankommen möchte.

Und dann kommt die Frage dazu: Wie viel Vision brauche ich überhaupt? Was muss ich in die Zukunft sehen? Was kann und darf sich einfach so entwickeln?

I want to be a poet in everything.

Das ist alles, was ich im Moment an Vision benennen kann.

Also will ich in allem, allem fühlen.

Also muss ich auch meine Erwerbsarbeit, und meine Bewegung und Ernährung und meine Beziehungen und alles, ganz grundtief ernst nehmen. Es gibt keinen einzigen nur nützlichen Bereich in meinem Leben, keiner, der nur einer Sache dient, da ich die Freiheit habe, alle Bereiche selber zu gestalten.

Was du versorgst, wird wachsen: Welche neuen Angewohnheiten nährst du?

Ich schreibe täglich von Hand in ein Heftchen. Damit nähre ich meine Ruhe, meinen Fokus, meine Schrift, meine Hand.

(Writing by hand is drawing, sagt Mary Ruefle.)

Ein Moment, in dem du dir sehr, sehr sicher warst:

In diesem Moment schrieb ich:

Ich habe große Lust auf eine radikale Entscheidung, eine radikale Änderung, irgendein Einschnitt – meine Website-Arbeit kippen oder umstülpen, nur noch schreiben, in das Atelier ziehen, nach Amerika ziehen, niemanden mehr treffen, nur noch Menschen treffen – aber ich ahne, nein, ich weiß, dass ich keine radikale Änderung brauche. Dass ich gute Grundsteine habe, und dass dieser Wunsch nach Radikalität, nach einem sauberen, dramatischen Neubeginn, nur ein Widerstand gegen die eigentliche Arbeit ist, gegen das Hinsetzen und Machen, dagegen, dass das Zeit braucht und wachsen muss, und dass alle Schritte winzig klein sind.

Revision muss kein radikaler Prozess sein. Das kann ein sehr leises, sehr langsames Ausrichten sein.

Facts and certainty are not the business of a poet, sagt Mary Ruefle außerdem. Dwelling and wandering and sitting with it are.

Ich habe keine Kontrolle, aber ich habe einen Prozess.

Ich lese über Essays, ich lerne über Essays, ich höre Steffen Popps tollen Vortrag „Könnte poetisch werden! Vom Sprengen der Prosa im Essay“, ich denke immer mehr in Essays. In Versuchen. In der Erlaubnis, zuerst von etwas, einer Idee oder Ideen oder Tatsachen oder Beobachtungen, besessen zu sein, dann zu sammeln, dann zu sortieren.

Das ist ein Prozess, der zu meinem Denken passt und zu meinem Fühlen: Leiten lassen von der Fixierung, von Spiel und Tanz, ausrichten mit dem Verstand.

Ich mag meine neuen Essay-Ideen. Alles wird zum Essay. Wepsert-Essay, Gedicht-Essay, Die-gute-Website-Text-Bild-Essay.

“I am more interested in the fragment, the notes, what is ongoing or continuing.

My desire (…) has been to be small, to stay small. To write about what is ephemeral, the daily, and to use it to attempt to think through the crisis of the self and what is beyond the self.”
— Kate Zambreno

Zeit alleine:

Die Fahrt auf meinem schnellen kleinen Roller, die kalten Hände und tränenden Augen und wie ich um die Theresienwiese gehubbelt bin mit 20 kmh, aufrecht sausend über krachende Blätter hinweg.

Zeit mit Freunden:

Wir feierten in liebevoller Frauenrunde in einen Geburtstag hinein, in dem Raum des Bades, eine absurde Situation mit dem Sofa vor der winzigen Sauna und wir alle in Handtüchern und mit Getränken und Geschenken und einem leise dudelnden Radio, und am nächsten Morgen dichtete ich kleine Schlager am Frühstückstisch.

Eine Schwelle: Was bahnt sich an?

Es bahnt sich die Entscheidung an, wie ernst ich das Sc

The episode Re-Vision. from the podcast Patchwork-Podcast has a duration of 0:00. It was first published 10 Nov 21:52. The cover art and the content belong to their respective owners.

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Sit on your art like a little horse.

 

Wie über all das schreiben, was der gesamten Welt in den letzten Monaten zugestoßen ist, und darüber, was ein großer privilegierter Teil der westlichen Welt seit Jahrhunderten anzettelt und geschickt ignoriert? Wenn sich alles laufend verändert und die Grundmisere gleich bleibt, wenn so viele Menschen auch schon schreiben und festhalten und interpretieren?

Macht es in solchen Momenten überhaupt Sinn öffentlich tagebuchartig zu schreiben?

Natürlich. Gerade in solchen Momenten. Ich will festhalten, wie blind ich selber in diese Situation hinein geschlittert bin, wie sie mich hin- und herbeutelt und wie ich versuche, einen Sinn darin zu finden und Stimmen, denen ich vertrauen kann. Wie viel Glück ich im Vergleich zu so vielen um mich herum habe. Und auch was für eine Wut ich angesammelt habe, auf Politiker:innen und ihre leeren Versprechen, auf Journalist:innen, die Geschichten verzerren, auf verpasste Chancen.

George Saunders schreibt in einem Brief an seine Student:innen über die Covid-19-Zeit: „(…) what you’re able to write about it will depend on how much sharp attention you are paying now, and what records you keep. Also, I think, with how open you can keep your heart.“

Das versuche ich. Aufmerksam zu bleiben und Notizen zu machen und in allem das Herz offen zu lassen.

Ich breche es auf und breche es herunter.

Ich beginne mit Finnland, mit meinem Februar in einem Holzhaus dort mit anderen Schreibenden. Allen voran Eliana Gray – Ellie ist ein Hauptgrund dafür, dass ich mich während der Residency sicher und zuhause und verstanden gefühlt habe.

Später, in einem anderen Bericht, gehe ich die Zeit danach an, die wieder im Alltag ohne Normalität; die, in der sich normal verändert hat und in der wir immer noch fest drinstecken, und ich werde versuchen darin Abschnitte zu definieren und Veränderungen zu benennen.

Der 6-Wochen-Rhythmus hat für mich ausgedient zurzeit, aber ich will schreiben und ich muss schreiben über diese Zeit. Und es tut weiterhin so gut und ist so wichtig, das Auseinanderdröseln und Reflektieren und nochmal in Ruhe anschauen.

Also: Finnland. Eine Collage aus Reisenotizen und Bildern.

Welcoming the weirdness.

Es ist so leise hier, dass ich zum ersten Mal das Geräusch höre, das meine Kette beim Ausziehen macht. Ein leises Swoosh.

Dann war es das Summen der Finnin nebenan, das mich glücklich machte.

Datteln mit Lakritze. Große Streichhölzer in Packungen mit einem Saunamensch drauf. So viel Sonne, den ganzen Tag Sonne. Ein Eisfischer auf dem See, wie er seinen riesigen Bohrer in das Eis bohrt, sonst weit und breit kein Mensch. Dieser erstaunlich nette S-Supermarkt, der günstigere, der mir irgendwie zugänglicher ist. Ich finde alles, was ich brauche, ich gehe im Supermarkt aufs Klo und beobachte die Locals beim Automaten zocken, in diesem Dorf ohne Café.

Ich fühle mich nach wie vor erstaunlich neutral. Nicht unglücklich, nicht rasend begeistert. Beobachtend. Ankommend. Ich mag sehr die quatschigen Übersetzungen, die ich mit meiner neuen App erhalte. Stoneless toilet Steinkröte = Das ist eine Dattel.

Ich mag die Nähe von Tisch und Bett, die niedrigen Fenster, die Nähe von allem zu allem. Das Lesen im Bett. Ich lerne, zu lesen. Mein Lesen zu nutzen. Buchübergreifend Aufmerksamkeit zu entwickeln. Allein dafür lohnt sich dieser Monat.

Finnish porridge is supposed to taste like bread, salty and buttered.

Eigentlich ist hier alles aus Haferflocken.

Ich träume von Mails und lauter Sachen, die ich noch schnell machen muss. Ich muss aber nichts machen. Es ist egal, wann die anderen aufstehen, was sie machen oder wie viel sie arbeiten. Im Bett sitzend, eingemümmelt, das Fenster offen, draußen eisige Luft und erste Morgenhelle und ein Hund, der wölfisch bellt. So viel in meinem Kopf, und ich plötzlich wach.

Ich mag die Heizung hier, die so schnell warm wird. Ich mag die Sonnenaufgänge und ihr Leuchten, ich mag die rauchige Luft. Ich mag, wie die gesamte Schule zum Theater läuft, an unserem Haus vorbei stapfen sie schlenkernd durch Sonne und Schnee. Ich mag, wie die meisten Männer hier Sicherheitsjacken tragen, in Neon-Gelb oder Orange.

Den Regler (mindestens) auf 2 stellen.

 

Kein Witz: Ich sitze auf gepackten Koffern.

Zumindest direkt neben gepackten Koffern. Also einem Koffer und einem Rucksack, die ich mitnehmen werde nach Finnland. Wo ich einen Monat lang in einem ziemlich einsamen Holzhaus sein werde.

Hauptsächlich sein. Vermutlich auch lesen. Vielleicht schreiben. Hoffentlich zeichnen. Bestimmt viel saunieren.

Und eigentlich dachte ich, dass ich diesen Bericht gar nicht mehr schaffe. Der ja ohnehin schon ein 2 x 6 Wochen Bericht geworden ist.

Aber jetzt mache ich ein kleines, schnelles, fließendes Minimal-Update.

Und berichte, dass ich meine lyrische Erzählung so weit fertiggestellt habe, dass ich eine erste Probefassung an Lesefreund:innen schicken konnte.

Dass mein Rücken viel weh tut und ich mich viel um ihn, also um mich, kümmere.

Dass ich aufgeregt bin vor Finnland, vor der Zeit mit mir. Vor der Fremde, vor dem Abenteuer, vor den Menschen, denen ich begegnen werde. Aber vor allem freue ich mich so sehr. Ich nehme nicht mal einen Computer mit. Ich habe schon so lange nicht mehr mehrere Wochen am Stück ohne Computer verbracht.

Dass ich mir Vertretungen für mein Website-Business organisiert habe, zum ersten Mal so richtig. Eine enge Freundin und Kollegin kümmert sich um die Mails und die gesamte Kommunikation, mein System-Administrator um die Technik, eine begeisterte Kurs-Schülerin um die Sprechstunde. Und ich darf einfach los.

Und ich berichte eine Sache, die ich gelernt habe in letzter Zeit. Ein Patchwork-Hack, sozusagen:

Den Regler nie auf Null stellen.

In einem Artikel über Bewegung und Ernährung und gesundes Leben allgemein (ich sag ja, mein Rücken plagt mich …) stieß ich auf das schöne gedankliche Bild eines Drehreglers.

Wenn du gerade total auf deine Gesundheit achtest, täglich Sport machst und nur gutes Grünzeug isst und jede Nacht zehn Stunden schläfst – dann ist der Regler auf Zehn. Wenn du dich so ganz okay bewegst und meistens frische Sachen isst und halbwegs genug schläfst, steht der Regler auf Fünf. Und bei Null lässt du alles sausen.

Der Trick liegt bei den Reglerzahlen 2 und 3. Oder sogar 1. Auf jeden Fall bei den niedrigen Zahlen.

Das ist der Modus, wo du das absolut Grundlegendste tust. Also dich vielleicht morgens fünf Minuten lang dehnst, und dann einen Apfel zum Kaffee isst. Oder mittags nach dem Döner einen Mini-Spaziergang machst – was auch immer für dich eben eine 2 oder eine 3 ist.

Und der eigentliche Trick liegt natürlich darin, diese 1 oder 2 oder 3 für dich zu definieren, und die wirklich zu machen.

Sprich: Nicht auf Null fallen. Nicht alles sausen lassen und dann nur noch auf der Couch zu liegen, weil die Energie nicht für ein Zwei-Stunden-Workout reicht.

Sondern die Kleinigkeiten trotzdem beachten, und ihnen einen Wert geben.

Und genau das versuche ich mit meinem Patchwork zur Zeit, und der Gedanke gibt mir große Ruhe.

Meine Auszeit in Finnland ist eine heftige Zehn für meine künstlerische Seite. Aber durch meine Vertretungen versuche ich, den Regler für meine Website-Arbeit währenddessen auf 2 oder 3 zu belassen.

Mein Handwerk schläft ziemlich zur Zeit, und die Werkstatt verstaubt – aber ich versuche, durch Gedanken, die ich mir über Löffel und Holz mache, meine Energie für diesen Bereich bei einer 1 zu behalten.

Und so weiter.

Dieser Mini-Bericht? Ist bestimmt keine zehn.

Aber er ist geschrieben und draußen, und das tut mir gut, und vielleicht nutzt dir das Bild des Reglers auch, und dann tut er dir auch gut.

 

Re-Vision.

 

Ich sammle, im Tagebuch, in den Fotos, im Kalender, im Kopf, ich sammle Antworten auf die Moon List Fragen für November – und auf einmal erkenne ich einen Strang, erkenne ich, welche Themen und Motive sich durchgezogen haben.

Das ist das eigentlich Spannende an diesen Berichten: Im Sichten der eigenen Fragmente der letzten Wochen erkenne ich Muster, und mit diesen Mustern kann ich arbeiten.

Welchen Titel würdest du deiner Gegenwart oder der jüngsten Vergangenheit geben?

Revision.

Meine blinde starke Sommerenergie ist gedämpft, jetzt geht es um das Einarbeiten und Verarbeiten.

Natürlich im Sinne von revidieren und feinschleifen und lektorieren. Ganz konkret auf meine Erzählung bezogen, die jetzt als Rohtext steht und die ich in den nächsten Wochen und Monaten überarbeite. Ich werde die einzelnen Stränge durcharbeiten und sie weiterdenken und tiefer führen. (In diesem Kontext waren diese Podiumsdiskussion und dieser Essay für mich anregend und ergiebig.)

Aber Re-Vision auch im Sinne von: insgesamt nochmal hinschauen.

Genauer hinschauen. Spüren, was meine Vision ist, für mein Schreiben genau so wie für meine Website-Arbeit. Herausarbeiten, was meine Vision ist, damit ich genauer weiß, wo ich eigentlich hin will. Damit ich wieder eine stabile Grundlage habe, auf der ich die vielen täglichen Entscheidungen treffen, die täglichen Prioritäten legen kann.

Es ist ja alles schon ziemlich gut. Und trotzdem stolpere ich immer wieder über die gleichen Fragen, die gleichen Alltags-Herausforderungen – welche und wie viele Termine nehme ich an, wie viel reise ich, wen treffe ich, wie komme ich mit den Mails hinterher, wie entwickle ich mein Geschäft und meine Kunst parallel weiter …?

Im Rumeiern mit diesen Fragen ist mir klar geworden, dass mein Kompass schwammig geworden ist. Ich kann im Moment nicht exakt benennen, in welche Richtung ich segeln will, und wo genau ich eigentlich ankommen möchte.

Und dann kommt die Frage dazu: Wie viel Vision brauche ich überhaupt? Was muss ich in die Zukunft sehen? Was kann und darf sich einfach so entwickeln?

I want to be a poet in everything.

Das ist alles, was ich im Moment an Vision benennen kann.

Also will ich in allem, allem fühlen.

Also muss ich auch meine Erwerbsarbeit, und meine Bewegung und Ernährung und meine Beziehungen und alles, ganz grundtief ernst nehmen. Es gibt keinen einzigen nur nützlichen Bereich in meinem Leben, keiner, der nur einer Sache dient, da ich die Freiheit habe, alle Bereiche selber zu gestalten.

Was du versorgst, wird wachsen: Welche neuen Angewohnheiten nährst du?

Ich schreibe täglich von Hand in ein Heftchen. Damit nähre ich meine Ruhe, meinen Fokus, meine Schrift, meine Hand.

(Writing by hand is drawing, sagt Mary Ruefle.)

Ein Moment, in dem du dir sehr, sehr sicher warst:

In diesem Moment schrieb ich:

Ich habe große Lust auf eine radikale Entscheidung, eine radikale Änderung, irgendein Einschnitt – meine Website-Arbeit kippen oder umstülpen, nur noch schreiben, in das Atelier ziehen, nach Amerika ziehen, niemanden mehr treffen, nur noch Menschen treffen – aber ich ahne, nein, ich weiß, dass ich keine radikale Änderung brauche. Dass ich gute Grundsteine habe, und dass dieser Wunsch nach Radikalität, nach einem sauberen, dramatischen Neubeginn, nur ein Widerstand gegen die eigentliche Arbeit ist, gegen das Hinsetzen und Machen, dagegen, dass das Zeit braucht und wachsen muss, und dass alle Schritte winzig klein sind.

Revision muss kein radikaler Prozess sein. Das kann ein sehr leises, sehr langsames Ausrichten sein.

Facts and certainty are not the business of a poet, sagt Mary Ruefle außerdem. Dwelling and wandering and sitting with it are.

Ich habe keine Kontrolle, aber ich habe einen Prozess.

Ich lese über Essays, ich lerne über Essays, ich höre Steffen Popps tollen Vortrag „Könnte poetisch werden! Vom Sprengen der Prosa im Essay“, ich denke immer mehr in Essays. In Versuchen. In der Erlaubnis, zuerst von etwas, einer Idee oder Ideen oder Tatsachen oder Beobachtungen, besessen zu sein, dann zu sammeln, dann zu sortieren.

Das ist ein Prozess, der zu meinem Denken passt und zu meinem Fühlen: Leiten lassen von der Fixierung, von Spiel und Tanz, ausrichten mit dem Verstand.

Ich mag meine neuen Essay-Ideen. Alles wird zum Essay. Wepsert-Essay, Gedicht-Essay, Die-gute-Website-Text-Bild-Essay.

“I am more interested in the fragment, the notes, what is ongoing or continuing.

My desire (…) has been to be small, to stay small. To write about what is ephemeral, the daily, and to use it to attempt to think through the crisis of the self and what is beyond the self.”
— Kate Zambreno

Zeit alleine:

Die Fahrt auf meinem schnellen kleinen Roller, die kalten Hände und tränenden Augen und wie ich um die Theresienwiese gehubbelt bin mit 20 kmh, aufrecht sausend über krachende Blätter hinweg.

Zeit mit Freunden:

Wir feierten in liebevoller Frauenrunde in einen Geburtstag hinein, in dem Raum des Bades, eine absurde Situation mit dem Sofa vor der winzigen Sauna und wir alle in Handtüchern und mit Getränken und Geschenken und einem leise dudelnden Radio, und am nächsten Morgen dichtete ich kleine Schlager am Frühstückstisch.

Eine Schwelle: Was bahnt sich an?

Es bahnt sich die Entscheidung an, wie ernst ich das Sc

Sehen, was ist.

 

Und schwupps wird aus einem Sechs-Wochenbericht ein Neun-Wochenbericht, aber auch dafür sind wir hier, um damit zu fließen.

Es geschieht viel, ohne dass ich sehr viel tue. Ich sehe viel, oder mir wird viel gezeigt, und offensichtlich will ich sehen. Und es sind ungewöhnliche Dinge dabei.

Ich habe in den letzten Wochen gesehen:

Einen brennenden Schrottberg in Berlin mit tiefdunkler Riesenwolke.

Ein Klavier, das von einer Burgmauer in Halle gestürzt wurde.

Eine Massenschlägerei mit 100 Hooligans in München. (Das habe ich vor allem auch gehört, und Tage gebraucht, um das halbwegs wieder aus meinem System zu bekommen.)

Einen rupfenden Falken in meinem Hinterhof. Einen aggressiven Kampf zwischen einem anderen Falken und einer Krähe in der Luft über dem Rosental. Einen sehr mutigen Fuchs mitten in Kreuzberg.

Und dann noch eine riesige, grell leuchtende Feuerkugel über Leipzig. Also eine unglaublich große und unglaublich helle Sternschnuppe, in weiß und grün und blau.

Bei der Feuerkugel fange ich an, das Ganze als Symbol zu begreifen.

Ich kann keine Videos finden von der Feuerkugel, die ich gesehen habe, also fange ich an, andere Videos von Meteoren und Lichtblitzen und kleinen Kometen anzuschauen. Wie schön die Teile sind, wie langsam und schnell und bunt und unterschiedlich sie sein können.

Wie wir sie dauernd auch verpassen.

Wie wir solche Erlebnisse niemals planen können.

Und: Wie unterschiedlich Menschen alles wahrnehmen, alles beschreiben, alles erleben, alles dokumentieren.

Was sehe ich denn wirklich?

Wofür sorge ich, dass ich es sehe, und was verdränge ich?

Das beschäftigt mich, und verstärkt die Frage nach meiner Intuition, nach Intuition überhaupt.

Weil Fragen Werkzeuge sind, und fremde Fragen gut fremde Stellen ausleuchten können, und ich damit noch mehr sehen und noch mehr fühlen kann, greife ich die Moon Lists auf.

Die Moon Lists sind eine Reihe von Fragen, die man sich monatlich, zum neuen oder vollen Mond oder wann auch immer man mag, stellen kann. Dazu gibt es veröffentlichte Interviews und ein Buch, aber im Kern geht es um die Fragen.

Das sind die Fragen, und meine Antworten, für September:

(Und klar: Mach’ mit und beantworte die Fragen für dich, genau so ist es gedacht.)

Wie ist dieser September anders als frühere September?

Er ist unwahrscheinlich dicht. Ich habe kein sauberes, aufgeregtes Gefühl von Neubeginn – Schulbeginn –, sondern von einem Hagel von Dingen, Eindrücken, Erlebnissen, Gefühlen, die auf mich niederregnen, die ich in Teilen aufsammele und betrachte, denen ich in Teilen ausweiche, und manche lasse ich einfach auf mich niedergehen.

Es ging viel um Uneindeutigkeit, um das Vermeiden von faulen Gleichungen, darum, dass alles nebeneinander und ineinander steht und stehen kann, dass ich darum kein Aufheben machen muss, es ist so viel, dass ich gar kein Aufheben mehr darum machen kann.

Welche Geschmäcker oder Kombinationen von Geschmäckern waren häufig?

Selbergemachtes Zwetschgenmus und Nussmus. Nuss-Crumble auf Gartengrün. Dicke Haferflocken in Milch. Schokodinkelbrezeln. Die letzten Tomaten der Saison, die bereits eine dickere Schale tragen. Zupfsalat im Pilot. Waffeln mit Schlabbersahne.

Ein Fremder, eine Fremde: Eine bedeutungsvolle oder bemerkenswerte Interaktion mit jemandem, den oder die du nicht kennst.

Wie die ältere Frau an der U-Bahn Haltestelle lachte, als sie sah, wie ich meine Armreifen wieder vom Rucksack löste und anzog.

Was war dein Verhältnis zu oder mit Informationen?

Vom Fließen und Spielen.

 

Mein erster Sechs-plus-zwei-Wochen-Block ist inzwischen vorbei, und ich bin sehr glücklich um diese neue Einteilung. Meine Hoffnung, dass ich dadurch gezielter einen Fokus habe und besser andere Sachen loslassen kann, hat sich tatsächlich erfüllt.

Fokus: Flow.

Auf dieser Basis merke ich vor allem, dass es mir eigentlich gerade um Flow geht, um Flow und Spaß. Um einen Rahmen, den ich mir setze, in dem ich fließen kann, in dem ich Entscheidungen anpassen und auf mich hören kann, in dem ich Freude habe und an mir lerne. In dem ich spielen kann.

Das passiert auf so vielen Ebenen – von der Ernährungsebene, wo ich kein einziges Dogma mehr akzeptiere, über die Bewegungsebene, wo ich immer mehr lerne, mich so zu bewegen, wie mein Körper das gerade braucht, und ihm die Herausforderungen zuzumuten, die ihn zum Wachsen bringen, bis hin zu den verschiedenen Arbeitsebenen. Ich versuche, bei der Website-Erwerbsarbeit mehr Tätigkeiten spielerisch und experimentell anzugehen. Ich versuche, beim Schreiben mich mehr herauszufordern, mehr bewusst zu lernen, bewusst zu üben.

Dabei geht es mir auch um das Zusammenfügen der verschiedenen Abschnitte und Bereiche, um die Übergänge, dass die fließender werden und ich nicht selber erschrecke, wenn ich von einem Modus in den anderen wechsle.

Ort: neu.

Hilfreich war in den letzten Wochen, dass ich diesen neuen Schwerpunkt in einer neuen Umgebung üben konnte.

Ich würde mich eigentlich als eine Person beschreiben, die relativ viel Ruhe braucht, die ganz glücklich ist, wenn sie ein paar Tage lang kaum Menschen sieht, die Massenveranstaltungen und die Shopping-Meilen der Fußgängerzonen nur in Ausnahmefällen betritt.

Aber die letzten Wochen habe ich in einer Fünfer-WG (oder Sechser-WG, wenn man die Maus mitzählt) mitten in der Münchner Innenstadt gewohnt. Quasi in der Fußgängerzone. Mit allen Baustellen, allem Gehupe, allen feiernden Menschen, allen spontanten Küchentischgesprächen, die das mit sich bringt.

Ich bin nämlich für eine Weile in der Stadt und konnte das Zimmer einer Freundin zwischenmieten, die gerade umzieht. Und überraschenderweise finde ich’s (meistens) toll, zumindest solange ich Oropax in Griffweite habe.

Denn diese neue Grundsituation hat bereits zu ein paar weiteren neuen Impulsen geführt.

Ich habe zum Beispiel aus Lust und Laune einen völlig anderen Website-Auftrag angenommen als sonst, und zwar für ein Literatur-Festival in Nürnberg, mit einer recht kompliziert umzusetzenden Programm-Übersicht. Aber dafür habe ich mir neue Squarespace-Tricks beigebracht, und es ist eine ziemlich coole Seite dabei entstanden.

Ich habe einen anderen Tagesrhythmus entwickelt, passend zu diesem neuen Ort und dem Sommer und den Menschen, die hier um mich sind; ich bin lange wach und schlafe lange und rolle auf den neuen E-Rollern durch warme Sommernächte – wie früher fühlt sich das ein bisschen an und macht sehr viel Spaß.

Ich habe an einem Handstand-Workshop teilgenommen, und übe gerade kräftig, die Welt umgedreht zu sehen und mich auf meinen Händen zu tragen. Heißt natürlich auch, dass ich kräftig Muskelkater habe, und dass ich kräftig das Fallen übe :)

Und ich habe eine neue Frisur, aber das habe ich noch in Leipzig machen lassen – trotzdem freue ich mich tierisch, dass ich jetzt Locken habe, denn ich wollte schon immer Locken haben. Und in meinem aktuellen spielerischen Mindset habe ich mir das endlich erlaubt, und das rockt mich.

Es gilt meist auch das Gegenteil.

Auch wenn ich ganz glücklich bin, wenn sich gerade mal nichts ändert und mal nichts Neues auftaucht und ich meinen schönen ruhigen Alltag lebe, finde ich neue Herausforderungen und neue Perspektiven schon auch ziemlich gut.

Denn auch wenn wir uns als Personen begreifen und beschreiben, die so und so sind, haben wir alle manchmal ein Bedürfnis nach dem genauen Gegenteil. Die Kunst, die ich gerade lerne, ist es, diese anderen Bedürfnisse zuzulassen und mir selber zu ermöglichen. Und zwar in einem Rahmen, der für mich passend und sicher ist.

Die Sache mit dem Handstand ist ein ganz gutes Bild dafür: Manchmal lohnt es sich, die Welt auf den Kopf zu stellen. Und bis dir das halbwegs kontrolliert gelingt, brauchst du einiges an Übung, und gute Unterstützung.

Vielleicht ist es also Zeit, mal wieder etwas anders zu machen.

Vielleicht ist es Zeit, etwas Neues auszuprobieren oder etwas Altes loszulassen. Vielleicht ist es Zeit, eine deiner Selbstdefinitionen für einen Moment zu lockern, und zu schauen, was in dem Raum passiert, der dabei entsteht. Vielleicht ist es Zeit, dir Unterstützung zu holen für etwas, von dem du immer dachtest, du machst es alleine. Oder andersrum: Etwas alleine zu machen, was du dir bisher nicht zugetraut hast.

Ich will noch mehr auf mich hören, auf meinen Körper, auf die Signale, wie ich arbeiten und leben will. Nicht immer an meinen selbst gesetzten (meist sehr hilfreichen, aber gelegentlich limitierenden) Rahmen festhalten.

Und fest weiterhin daran glauben, dass Wachstum in täglichen winzigen Schüben passiert.

In dem Zimmer, in dem ich hier bin, hat meine Freundin einen Sauerklee, eine hübsche lilane Pflanze. Sie stand in einer Ecke am Boden, weil meine Freundin meinte, dass sie nicht so viel Licht verträgt. Von einer anderen Freundin wusste ich aber, dass diese Pflanze mehr Licht braucht, also stellte ich sie tagsüber immer an’s Fenster, und zog den dünnen Vorhang davor, wenn die Sonne zu stark brannte.

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